Neues Leben am Fluss

Neues Leben am Fluss

Stand der Dinge

Ein Lebensraum an der Ems entwickelt sich in Coldemüntje in der Gemeinde Westoverledingen – und die Grundlage dafür wurde von Menschenhand geschaffen. Nach über zwei Jahren Bauzeit werden nach und nach auf rund 35 Hektar von Ebbe und Flut beeinflusse Biotope entstehen, wie es sie an der Ems im Gegensatz zu früheren Zeiten kaum noch gibt. Im Frühling 2025 wurde der Polder Coldemüntje fertiggestellt. 

Die Schaffung solcher Lebensräume auf insgesamt 500 Hektar wurde im Masterplan Ems 2050 vereinbart. Es gibt viele Pflanzen und Tiere, die auf diese ganz eigene Lebenswelt zwischen Wasser und Land angewiesen sind, und damit sie an der Ems nicht weiter verschwinden und die Artenvielfalt nicht weiter sinkt, schafft der Masterplan Ems bis 2050 auf 500 Hektar solche Biotope.

Wo jetzt der Polder ist, verlief einst die Ems in einer langgezogenen Kurve; diese alte Flussschleife wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zugeschüttet und durch eine Gerade ersetzt, um Schiffen die Kurvenfahrt zu ersparen. Die alte Schleife befand sich nun hinter dem Deich, das Gebiet dem Einfluss der Tiden entzogen. 

Das ist seit diesem Frühjahr anders. Neben dem Prielsystem, das durch die Speisung aus der Ems mit leicht salzhaltigem Wasser befüllt wird, und durch den Tidewechsel Brackwasserwatt und Flachwasserzonen schafft, befindet sich in der südwestlichen Ecke des Gebiets ein Süßwasserteich. Der wurde gleich nach Beginn der Bauarbeiten eingerichtet. Hier finden Amphibien wie Frösche und Molche eine Heimat, die salziges Wasser nicht vertragen. Am Süßwasserteich zeigt sich exemplarisch, wie die Natur das Gebiet zurückerobert: Schon nach einem Jahr ließ sich dort eine äußerst vielfältige Pflanzenwelt beobachten. Und auch die Vogelwelt ist offenbar vom gesamten Tidepolder angetan; Säbelschnäbler, Löffler, Rohrweihen und Gastvögel wie Enten und Gänse ließen sich von Baggern und Lastwagen nicht abhalten, das Gebiet zu besiedeln.

Künftig wird es zudem möglich sein, das Gebiet und seine tierischen Bewohner von drei Aussichtspunkten, die durch einen Ringweg auf dem Damm des Polders verbunden sind, in seiner Entwicklung zu beobachten. Dafür wurde ein Teil des Aushubs verwendet. 

Der Polder Coldemüntje ist der erste seiner Art. Die Besonderheit ist die Technik, mit der im Polder ein Tidenhub von nur einem Meter erreicht wird, während in der Ems der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser bis zu fünf Metern ausmacht. Das Bauwerk durch den Deich ist so konstruiert, das nur Wasser von der Oberfläche der Ems in den Polder strömt – das ist am wenigsten mit Sediment belastet. Es fließt zunächst in das Sedimentationsbecken, wo es sich beruhigt und der trotzdem noch vorhandene gelöste Schlick zu Boden sinkt. Dann muss es noch eine Überlaufschwelle passieren, wodurch wieder nur das oberste, klarere Wasser in den Polder fließt. Wenn es zurück in die Ems geleitet wird – der Polder-Ebbstrom – öffnet sich eine Klappe, das Wasser fließt schneller Richtung Fluss als in den Polder und nimmt das Sediment aus dem Becken wieder mit. Die Situation wird sich zudem noch einmal deutlich entschärfen, wenn die Tidesteuerung in Betrieb geht und die Sedimentbelastung deutlich verringert. Damit wird für 2027 gerechnet.

Impressionen

Was bisher geschah

Seit Mai 2022 laufen die Erdarbeiten für den ersten Tidepolder des Masterplans Ems in Coldemüntje (Gemeinde Westoverledingen/Landkreis Leer). Fertig werden soll der tidebeeinflusste Lebensraum Ende 2024/Anfang 2025. „Der Polder steht exemplarisch für das, was die Vertragspartner im Masterplan Ems 2050 als eines von mehreren Zielen vereinbart haben: Die Wiederherstellung von Lebensräumen, wie sie einst die Flussauen der Ems prägten“, sagte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies beim symbolischen ersten Spatenstich Ende Mai 2022.  Insgesamt sollen bis 2050 auf 500 Hektar solche tidenbeeinflussten Lebensräume entstehen. U.a. mit dieser Selbstverpflichtung wurde 2015 ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen Verletzung von Umweltrichtlinien an der Ems verhindert. Mit Tidepoldern machen die Planer vielen Arten, die vom Lebensraumverlust an der Ems betroffen sind, ein Angebot, sich hier wieder anzusiedeln und zu vermehren.  Die Besonderheit dieser Biotope ist, dass sie von Ebbe und Flut beeinflusst werden, also zeitweise trockenfallen und dann wieder überflutet werden. Dort entwickeln sich Flachwasserzonen, Brack- und Süßwasserröhrichte, Sand- und Schlickwatten sowie Tideauwald.

Ein solches Biotop wird jetzt im Bereich des ehemaligen Emsbogens bei Coldemüntje in der Gemeinde Westoverledingen verwirklicht. Bei dem Gebiet, das hinter dem Emsdeich liegt, handelt es sich um die Überreste einer ehemaligen Emsschleife, die bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgeschnitten wurde. Der damals entstandene Grotegaster Altarm verlandete, wurde mit Baggergut aus der Fahrwasserunterhaltung aufgefüllt und zu einem späteren Zeitpunkt durch den Bau der neuen Hauptdeichlinie vollständig von der Ems getrennt. 

Der Landkreis Leer als zuständige Genehmigungsbehörde hatte den Bau des Tidepolders Coldemüntje genehmigt. Der entsprechende Planfeststellungsbeschluss trägt das Datum 13. August 2021. Von besonderem Interesse war während der gesamten Planungsphase der Verbleib des Aushubs aus der Polderbaustelle. Der Genehmigung entsprechend wird das Vorhaben wie folgt ablaufen:

Von den 272.000 Kubikmetern Aushub:

- bleiben rund 145.000 Kubikmeter im Plangebiet selbst. Daraus werden ein erhöht verlaufender Rundweg mit drei Aussichtspunkten entstehen. Der Polder wird hierüber für Naturliebhaber erschlossen. Es wird ein Parkplatz für Autos und Fahrräder eingerichtet.

- werden rund 80.000 Kubikmeter für die Erhöhung der Deichberme an der Ems zwischen Tidepolder und Völlen verwendet. Das ist eine Strecke von rund sechs Kilometern. Die Baumaßnahme läuft zeitgleich mit dem Bau des Polders.

- werden rund 47.000 Kubikmeter auf landwirtschaftlichen Flächen direkt am Polder aufgetragen, die anschließend wieder von den Landwirten als Grünland genutzt werden. Rund 19 Hektar Fläche werden so um durchschnittlich 25 Zentimeter aufgehöht. 

Mit diesem Konzept wird der Transport von Aushub auf den Straßen durch die Deichdörfer auf ein absolutes Mindestmaß reduziert. Das war die Hauptvoraussetzung, um die Zustimmung der Gemeinde Westoverledingen erhalten zu können.