Gemeinsam
gegen den Schlick

Gemeinsam
gegen den Schlick

Wirksames Werkzeug
gegen die Trübung

Die Flexible Tidesteuerung mit dem Emssperrwerk ist ein wirksames Werkzeug gegen den Schlick in der Ems. Und das Sperrwerk ist dem dann täglichen Einsatz technisch und statisch gewachsen. Das haben die Ergebnisse des Testlaufs im Sommer 2020 auch nach intensiver und akribischer Überprüfung durch Experten bewiesen. Nach einer Entscheidung des Lenkungskreises (siehe Kasten rechts) für die Variante Tideniedrigwasseranhebung wird 2025 das Planfeststellungsverfahren zur rechtlichen Zulassung der Tidesteuerung beginnen. Die Variante Flutstromsteuerung wird  im Verfahren im Rahmen der Alternativenprüfung weitergeführt.

Das wirft in der Region eine Frage auf: Warum ein rechtliches Zulassungsverfahren, wenn doch erwiesen ist, dass die Tidesteuerung funktioniert. Die einfache Antwwort: Das Emsperrwerk schließt bei Sturmfluten und zum Emsaufstau für Überführungen der Meyer Werft. Dafür wurde es gebaut, für andere Zwecke gibt es zurzeit schlicht keine Genehmigung. Die komplexere Antwort betrifft den Weg, wie man zu einer solchen Genehmigung kommt: Bevor ein so entscheidender Eingriff in ein Flusssystem wie eine technische Steuerung der Tiden erfolgen kann, müssen alle zu erwartenden Auswirkungen in einem Planfeststellungsverfahren aufgelistet, beschrieben und abgewogen werden – möglichst so, dass der darauf basierende Beschluss am Ende auch juristischen Überprüfungen durch jene standhält, die sich in ihren Belangen eingeschränkt sehen. Die Komplexität ergibt sich aus den vielen Rollen, welche die Ems in der und für die Region spielt: Sie ist nicht nur ein kostbarer und einzigartiger sowie hoch gefährdeter Naturraum, sie ist auch Verkehrsweg, Überführungsgewässer für Neubauten der Meyer Werft, sie entwässert über die Nebengewässer und die von Menschen geschaffenen Kanäle und Tiefs die gesamte Region, bindet die Häfen an das Meer und andere Wasserwege an – und einiges gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Niederlande, die zudem besonders aufmerksam auf mögliche Folgen für den Dollart schauen. 

Bedeutet: Die Ems bedient viele Ansprüche und Interessen. Selbst die belegten positiven Wirkungen auf die Verschlickung und die zu erwartende Verbesserungen für alle Lebewesen im Fluss – all das entbindet die Planerinnen und Planer nicht davon, auch alle anderen Folgen des Eingriffs zu beleuchten, bevor ein Start der Tidesteuerung möglich ist. Für Probleme und Einschränkungen, die die Tidesteuerung für heutige Nutzungen der Ems mit sich bringt, müssen Lösungen gefunden werden. Das folgt auch den Zielen des Masterplans: Neben der Lösung des Schlickproblems und der Wiederherstellung typischer Lebensräume haben die Vertragspartner auch vereinbart, die Leistungsfähigkeit der Bundeswasserstraße Ems ebenso zu erhalten wie die Grundlagen der wirtschaftlichen Entwicklung der Region und nicht zuletzt die Überführungssicherheit für die Neubauten der Meyer Werft.

 Viel Arbeit also – aber die fußt auf der erfreulichen Tatsache, dass man nun mit der Tidesteuerung über das Instrument verfügt, mit dem man dem verschlicktem Flusssystem Ems als Lebensraum wieder auf die Beine helfen kann. In Zeiten des Artensterbens ist der Lebensraum Unterems mit seinen ganz speziellen Bedingungen (Gezeiten, Brackwasserzone, Verbindung zwischen Meer und Binnengewässern) unverzichtbar. Allein deshalb lohnt sich der steinige Weg bis zur Umsetzung. Um zu verstehen, warum die Tidesteuerung nötig ist, lohnt ein näherer Blick auf den Zustand der Ems. In ihrem Bett befindet sich vor allem im Sommer – weil dann weniger Wasser aus dem Binnenland für den Stromabtransport von Feststoffen sorgt als im Winter – oberhalb von Weener sehr trübes Wasser.

Je tiefer man in den Wasserkörper abtaucht, desto höher wird die Schwebstoffkonzentration, desto „dicker“ wird die Flüssigkeit, die dann als Flüssigschlick bezeichnet wird. Dieser fließt nicht im Gezeitenrhythmus, sondern bewegt sich allenfalls träge über dem festen Grund und verdrängt die Gezeitenströmung in den oberen Bereich der Wassersäule. Die organischen Anteile werden von Bakterien zersetzt, dabei wird der Sauerstoff im Wasser teilweise vollständig verbraucht – die Umgebung wird lebensfeindlich. Im oberen Teil der Wassersäule fehlt zudem sauerstoffbildenden Algen das Licht, um Photosynthese zu betreiben. Zudem schlicken Muhden, Nebenarme und Flachwasserzonen zu. 

Schon lange war bekannt, dass die hohe Schwebstoffbelastung vor allem mit dem durch Vertiefungen und Begradigungen entstandenen Ungleichgewicht zwischen Ebbe und Flut zusammenhängt. Der Tidenstrom fand kaum noch Widerstand im Flussbett und die Flutstromdauer hat abgenommen, zudem wuchs die Wassermenge, die mit der Flut in die schmale Ems drängte. Damit gerieten auch mehr Schwebstoffe in den Fluss, welche die vergleichsweise schwache Ebbe nicht wieder herausbekam. So entstand über Jahre eine so hohe Belastung, dass über weite Strecken die Flüssigschlickschicht entstand. 

Untersuchungen der Forschungsstelle Küste mit einem als Weltpremiere geltenden Programm, das das Verhalten von Flüssigschlick simulieren kann, bestätigten, dass der Flutstrom mit seiner Wucht aus dieser Flüssigschlickschicht große Mengen an Sediment aufwirbelt, Richtung Oberfläche und weiter stromauf transportiert. Gleichzeitig bewegte sich die Grenze zwischen Süß- und Salzwasser immer weiter stromauf. Diese Erkenntnisse machten deutlich, dass eine Lösung des Schlickproblems auf die Behebung des Tidenungleichgewichts setzen musste – also den Flutstrom schwächen und die Ebbe stärken muss. Auf dieser Grundlage kam eine technische Lösung ins Spiel: Eine Regulierung der Asymmetrie zwischen Ebbe und Flut mit den Toren des Emssperrwerks. 

Wie funktioniert die Tideniedrigwasseranhebung? 

Die Tore des Sperrwerks schließen während des ablaufenden Wassers komplett, und das rund zwei Stunden vor Niedrigwasser. Der Niedrigwasserpegel fällt dadurch oberhalb des Emssperrwerks nicht „normal“ ab, sondern bleibt rund einen bis eineinhalb Meter höher. Stromab vom Sperrwerk läuft das Wasser im normalen Tideverlauf weiter ab und steigt in der danach einsetzenden Flut wieder an. Bei gleichem Wasserstand auf beiden Seiten des Sperrwerks werden die Tore wieder geöffnet. Während der Schließzeit geht die Strömungsintensität zwischen Sperrwerk und Tidewehr Herbrum stark zurück. Die im Wasser gelösten Feinsedimente setzen sich ab. Sehr schnell wird dadurch die Trübung in der oberen Wassersäule reduziert. Sobald der Schlickanteil deutlich fällt, steigt der Sauerstoffgehalt ebenso deutlich. In der für die Ems typischen, aber nicht gewollten, Flüssigschlickschicht sinken die Schwebstoffe zu Boden und nehmen nicht mehr am Transportgeschehen teil. Wenn die Tore nach dieser rund zweieinhalbstündigen Ruhephase wieder geöffnet werden, entwickelt sich der Flutstrom in geringerem Umfang, weil ein Teil des sonst bei Flut einströmenden Wasservolumens sich bereits in der Unterems befindet. Das Ergebnis: Der Schwebstoffgehalt sinkt deutlich, der Sauerstoffgehalt steigt deutlich, Salzgehalte gehen zurück. Die Schwebstoffe sinken zu Boden oder werden zu einem geringen Teil auch stromab transportiert und aus dem System geräumt. Die Tideniedrigwasseranhebung soll daher später einmal direkt nach dem Winter starten, wenn das System durch die hohen Wassermengen aus dem Binnenland während der kalten Jahreszeit wenig Flüssigschlick enthält, und so die Unterems über den Sommer in diesem Zustand erhalten. Die Unterhaltungsbaggerungen können effektiver erfolgen, weil die Sedimente am Boden kompakter sind. Langfristig nehmen Baggerdauer und Baggermenge ab. 

Und die Flutstromsteuerung? 

Dabei werden die Tore bei Einsetzen der Flut teilweise geschlossen; die Hauptschifffahrtsöffnung komplett und die Nebenöffnungen bis auf unterschiedlich große Spalte unterhalb der Tore. Durch die Einengung wird der Flutstrom großräumig gebremst. Wegen der lokal in der Nähe des Sperrwerks entstehenden höheren Fließgeschwindigkeiten ist für eine dauerhaft betriebene Flutstromsteuerung - anders als bei der Tideniedrigwasseranhebung - die Erweiterung der Sohlsicherung erforderlich. Daher wurde diese Variante während des Technischen Tests nur kurz ausprobiert. Die für eine Flutstromsteuerung nötige Sohlsicherung durch Steinschüttungen am Emsgrund kann den Erkenntnissen zufolge erheblich kleiner ausfallen kann als zunächst erwartet, statt über 300.000 Quadratmeter voraussichtlich unter 100.000. Das bedeutet einen geringeren Eingriff in die Ems und eine deutliche Kostenreduzierung. Die Flutromsteuerung könnte dafür sorgen, dass bei gesteuerten Tiden Schwebstoffe aus der Unterems heraustransportiert werden. Das wird dadurch erreicht, dass der heute intensive Flutstrom geschwächt, die Ebbströmung aber leicht gestärkt wird – und damit unterm Strich der Ebbtransport die Oberhand gewinnt. Dadurch wird die Menge des Materials, aus der sich der sauerstoffzehrende Flüssigschlick bildet, in der Unterems längerfristig verringert. Die positive Wirkung auf die Gewässergüte stellt sich verglichen zur Tideniedrigwasseranhebung später ein. Das Sediment sammelt sich vorrangig im Emder Fahrwasser und würde dort von Baggern entfernt. 

 

Verfahren startet 2025

Die Vertragspartner des Masterplans Ems 2050 haben am 17. November 2023 einstimmig beschlossen: Das Land Niedersachsen soll das Planfeststellungsverfahren für die Tidesteuerung mit dem Emssperrwerk auf den Weg bringen. In einer Sitzung des Lenkungskreises, dem höchsten Gremium des Masterplan Ems, votierten die Partner am (heutigen) Freitag, einhellig dafür, mit der Variante „Tideniedrigwasseranhebung“ ins Verfahren zu gehen. Auf dieser Grundlage soll das Genehmigungsverfahren für die Tidesteuerung 2025 starten. Dem Lenkungskreis gehören Spitzenvertreter des Landes Niedersachsen, der Bundeswasserstraßenverwaltung, der Umweltverbände BUND, NABU und WWF, der Landkreise Emsland und Leer und der Stadt Emden sowie der Papenburger Meyer Werft an.

Die Sitzung im Niedersächsischen Umweltministerium wurde geleitet von Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer, dessen Ministerium den Masterplan Ems federführend verantwortet; auch Wirtschaftsminister Olaf Lies nahm an der Sitzung teil. „Ich freue mich, dass wir jetzt zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen sind“, so Umweltminister Meyer, „Mit der Tidesteuerung können wir die Gewässerqualität der Ems deutlich verbessern. Sie sorgt für weniger Schlick, erhöht den Sauerstoffgehalt deutlich und senkt den Salzgehalt. Für die Ökologie ist das ein großer Schritt und Erfolg. Für den Emder Hafen haben wir als Land mit dem neuen Großschiffliegeplatz eine Lösung gefunden. Ich danke alle Beteiligten für diesen gemeinsamen Weg zur Verbesserung der Umweltsituation an der Ems und ich bedanke mich insbesondere bei den Umweltverbänden, die sehr konstruktiv an der jetzt vorliegenden Marschroute mitgearbeitet haben.“

Der auch für die niedersächsischen Häfen zuständige Wirtschaftsminister Olaf Lies betonte: „Der Weg zur heutigen Entscheidung für die Tideniedrigwasseranhebung war lang und zuweilen schwierig, aber er lohnt sich. Möglich wurde diese nur, weil alle Akteure und Masterplanpartner immer wieder das gemeinsame Gespräch gesucht, über Lösungen diskutiert und gerungen und sich letztendlich aufeinander zubewegt haben. Als lohnendes Ergebnis erhalten wir nun einen gangbaren Weg, der nicht nur zur Verbesserung des Gesamtzustandes der Ems beitragen wird, sondern auch den dort bestehenden wirtschaftlichen Interessen von Schifffahrt, Hafen und Werft Rechnung trägt. Mein Dank geht an alle Beteiligten für ihr Engagement, ihre Geduld und Gesprächsbereitschaft. Wie beim niedersächsischen Weg zeigen wir einmal mehr, dass es gelingen kann im Dialog die Interessen von Ökologie und Ökonomie zu einem guten Ausgleich zu bringen. Das macht nun den Weg frei für die notwendigen Lösungen für die Meyer Werft genauso wie für den Emder Hafen.“

Dem Beschluss vorausgegangen waren intensive Diskussionen der Vertragspartner im Laufe dieses Jahres über die Variantenwahl. Zur Debatte stand auch eine zweite Variante, die Flutstromsteuerung. Gutachten der Forschungsstelle Küste des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) über die Langzeitwirkung der Varianten auf die Wasserqualität der Ems hatten bestätigt, was der Test der Tidesteuerung im Sommer 2020 im Naturversuch bereits gezeigt hatte: Beide Techniken sind geeignet, die problematische Schlickbelastung des Flusses deutlich zu reduzieren, damit den Sauerstoffgehalt deutlich anzuheben sowie die Salzgehalte zu senken. Mit beiden Techniken ist es daher möglich, das Hauptziel des Masterplan-Vertrags nachhaltig zu erfüllen: die Ems in einen Zustand zu versetzen, der aquatisches Leben im Fluss und Artenvielfalt im Tidebereich wieder dauerhaft möglich macht.

Um den Vertragspartnern im Masterplan-Kontext eine fundierte Entscheidung über eine Vorzugsvariante zu ermöglichen, beleuchteten Gutachten die Auswirkungen der Variantenwahl auf die weiteren Ziele des Masterplans Ems: Erhalt der Leistungsfähigkeit der Bundeswasserstraße und Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklung der Region. Ein Gutachten im Auftrag des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Ems-Nordsee war in diesem Zusammenhang nach der Analyse der Verkehrsströme und dem Abgleich mit den zu erwartenden Sperrzeiten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Auswirkungen der Flutstromsteuerung auf den Schiffsverkehr deutlich negativer sind als jene der Tideniedrigwasseranhebung – und auch für die Schifffahrt kaum auszugleichen.

Der Test 2020 hatte mit Blick auf den Wirtschaftsaspekt allerdings auch aufgezeigt, dass die Tideniedrigwasseranhebung sich negativ auf die Autoverladung im Emder Hafen auswirkt, weil dort nach dem Schließen des Sperrwerks der Wasserstand schnell und deutlich sinkt. Hierfür gibt es aber Lösungen. Das Land Niedersachsen stellt vorbehaltlich des noch ausstehenden Haushaltsbeschlusses im Landtag 70 Millionen Euro zur Verfügung, um einen Großschiffsliegeplatz im Emder Hafen zu bauen. Die Umweltverbände BUND, NABU und WWF merkten an, dass sie die Flutstromsteuerung nach wie vor für die ökologisch bessere Variante halten. Die Flutstromsteuerung bildet aus ihrer Sicht die Tidedynamik näher ab und erlaube ein freieres ästuartypisches Ein- und Ausschwingen der Tide.

Das Niedersächsische Umweltministerium stellte dazu klar, dass die Auswirkungen der Tideniedrigwasseranhebung auf die Planungen von Naturschutzprojekten des Masterplans Ems geprüft und diese ggf. angepasst werden müssen, um alle Lebensraumtypen in ausreichendem Umfang und Vernetzung zu entwickeln – so wie es mit der EU-Kommission vereinbart sei. Dazu müssten ggf. weitere Maßnahmen ergriffen werden, möglicherweise auch Maßnahmen zur Gewässerstruktur, um Voraussetzungen für das Emsästuar als Reproduktionsgebiet für Fische zu schaffen. „Für Umwelt, Wirtschaft und die Menschen an der Ems ist der heutige Beschluss ein guter Tag“, so Meyer und Lies.