Seltene Schmetterlinge in den Emsauen

Geplanter Tidepolder bietet auch gefährdeten Insekten Lebensraum – Naturschutzstation erhebt Bestände

Die Zahl der Insekten in Deutschland geht zurück – auch abseits des viel zitierten Bienensterbens. Wie groß der Rückgang tatsächlich ist, darüber streiten Experten, weil es über die Bestände der Kerbtiere nur wenige wissenschaftliche Datensammlungen gibt, die auf Langzeitvergleich angelegt sind. Doch niemand bestreitet, dass viele Arten – darunter beispielsweise auch Schmetterlinge – in ihrem Bestand bedroht sind und folglich auf die Rote Liste geraten sind. Der Artenschwund hat unwidersprochen auch mit dem Verschwinden natürlicher Lebensräume zu tun. Dieses zu ändern ist eines der Ziele des Masterplan Ems 2050. Von der im Vertrag verankerten Wiederherstellung von Lebensräumen, die für die Tidestrecken von Flüssen (Ästuare) typisch sind, sollen neben Vögeln und zahlreichen Wassertieren auch die auf diese Biotope spezialisierten Insektenarten profitieren.

Peter Pauschert von der Naturschutzstation Ems des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) hat in diesem Frühjahr und Sommer in verbliebenen naturbelassenen Feuchtgebieten an der Ems erstmalig mit Lichtfallen die Bestände der dort lebenden Nachtfalter untersucht. In Coldam, Vellage und Rysum gerieten bei drei Erhebungen insgesamt 54 Arten in die installierten Lichtfallen. Davon sind neun Arten in der Roten Liste Niedersachsens verzeichnet. Neben den typischen Arten der Auengebüsche und -wälder wie Pappelschwärmer, Abendpfauenauge oder Weidenbohrer stachen vor allem spezialisierte „Röhrichteulen" hervor.

Einige dieser Schmetterlinge, deren Raupen auf Schilf oder andere Röhrichtpflanzen als Nahrung spezialisiert sind, sind mancherorts selten geworden, eine der nachgewiesenen Arten gilt landesweit sogar als „vom Aussterben bedroht". Diese Ergebnisse zeigen laut Pauschert „den großen Wert naturbelassener Feuchtgebiete für eine Insektenvielfalt in unserer sonst menschlich überprägten Niederungslandschaft“. Tidepolder wie die geplante Masterplan-Maßnahme in Coldemüntje (Westoverledingen, Landkreis Leer) könnten als „Refugien“ dienen, in denen bedrohte Insekten überleben und sich im besten Fall von dort aus wieder ausbreiten können. Wie viele andere Insektengruppen sind auch Nachtfalter wichtige Bestäuber heimischer Pflanzenarten. Ihre Raupen stellen die Nahrungsgrundlage zahlreicher Vogel- und Fledermausarten dar. Doch damit nicht genug: In den von den Raupen der Schilfeulen hohlgefressenen Halmen leben Fliegen, Käfer oder Spinnen. Schlupfwespen – ebenfalls stark vom Rückgang der Insektenpopulationen betroffen – legen als Brutparasiten ihre Eier in die Raupen der Eulenfalter.

Die angesprochenen naturbelassenen Lebensräume – vom Wasser durchströmte Röhrichte und Auwälder mit Baumarten wie Weiden und Erlen – sind durch Begradigungen und Uferbefestigungen der Ems selten geworden, ebenso wie Priele und Flachwasserzonen. Diese Tidebiotope sind durch die Folgen der Verschlickung verlandet und werden von Brennnesselfluren und Büschen auf dem „Neuland“ verdrängt. Und damit gehen auch die dort lebenden typischen Vogel- und Insektenarten zurück. Der derzeit geplante Tidepolder in Coldemüntje ist die erste Masterplan-Maßnahme, mit der ein solches Biotop wieder am Flusslauf etabliert werden soll. Das Gebiet liegt zwar hinter dem Deich, wird aber durch ein Ein- und Auslassbauwerk an Ebbe und Flut angeschlossen. Zurzeit werden vom NLWKN die Unterlagen für das Genehmigungsverfahren beim Landkreis Leer vorbereitet.

Und unter Wasser? Wenn die Wasserqualität der Ems durch die „Flexible Tidesteuerung“ verbessert wird, könnten die Priele und Flachwasserzonen des Polders zunächst Fischarten wie Flussbarsch, Kaulbarsch, Aal, Zander, Flunder, Dreistacheliger Stichling, Brasse, Güster und Rotauge als Heimat dienen. Außerhalb der schnellen Strömung der Ems könnte sich – analog zu den Landinsekten – auch unter Wasser wieder das im Polder entwickeln, was im Fluss derzeit stark reduziert ist: Die Tiere des so genannten „Makrozoobenthos“ mit Krebstieren, Würmern, Egeln und Insektenlarven werden unter Anglern nicht ohne Grund auch „Fischnährtiere“ genannt.