Mehr Chancen für Wiesenvögel

Mehr Chancen für Wiesenvögel

Leher Wiesen sollen Wiesenvögeln noch mehr bieten

Flächen werden vom Bund übernommen und naturschutzfachlich aufgewertet - ein Rundgang mit dem ehrenamtlichen Vogelschützer Karl-Heinz Augustin

Dörpen. Wind streicht über die Landschaft nördlich von Dörpen im Emsland. Grün, soweit das Auge reicht, durchsetzt von den gelben Blüten der Sumpfdotterblume und Tupfen vom Wiesenschaumkraut in blasslila. Hier und da ein paar Weiden, Holunderbüsche und kleine Eichen. In den Leher Wiesen nördlich von Dörpen im Landkreis Emsland wurden bereits in den 90er Jahren als Ausgleich für den Bau der Dörpener Ortsumgehung Flächen für den Schutz von Wiesenvögeln ausgewiesen und entsprechend bewirtschaftet. Nun soll das Areal vom Land Niedersachsen unter der Ägide des Masterplan Ems 2050 vom Bund übernommen und weiter aufgewertet werden.

Es dauert an diesem sonnigen Tag nicht lange, bis sich die ersten jener Bewohner zeigen, die von der Aufwertung profitieren sollen: „Da“, sagt Karl-Heinz Augustin, der dies Gebiet seit 30 Jahren als ehrenamtlicher Vogelschützer genau im Blick hat, „ein Wiesenpieper.“ Der Vogel stürzt wie ein Fallschirmspringer aus dem Himmel und landet trotz seines rasanten Tempos zielsicher und sanft auf einem Zaunpfahl. An einer Blänke, einem flachen Tümpel, sammeln sich Kiebitze, am Himmel zieht ein Mäusebussard seine Runden, irgendwo ruft ein Brachvogel, Enten lassen ihr Schnattern in den blauen Himmel steigen.

Um zu verstehen, warum Wiesenvögel sich hier wohlfühlen, muss man das Gebiet wohl mit ihren Augen sehen. Kalle Augustin kann das. „Hier“, sagt er und zeigt auf den Boden, „an dieser Stelle können die Eltern ihre Küken gut führen“. Der Laie erkennt eine „kahle Stelle“, an der das Gras niedriger ist als in der Umgebung. „Die Vielfalt macht die Qualität“, sagt Augustin. Was er damit meint, zeigen viele Flächen in den Leher Wiesen exemplarisch. Anders als auf intensiv genutzten Weiden, auf denen oft für Silage besonders geeignete und ertragreiche Gräser dominieren, wächst auf den extensiv genutzten Flächen eine bunte Mischung verschiedener Pflanzen.

Jetzt, Ende Mai, lässt sich das an den unterschiedlichen Rispen der blühenden Gräser gut erkennen. Hinein mischen sich kleinere Schilfflächen, die von Landwirten wenig geschätzt werden, aber ihren Beitrag zur Artenvielfalt leisten. Summen durchzieht die Luft, auch Insekten schätzen die blühende Wiese. Nicht unwichtig für die Ernährung der Vögel. Die Vielfalt entsteht durch unterschiedliche Bewirtschaftung der einzelnen Flächen im Gebiet und weitgehenden Verzicht auf Düngung und Pflanzenbehandlungsmittel.

Die Wiesenbrüter, von denen viele Arten inzwischen auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten in Deutschland stehen, schätzen für ihre „Mahlzeiten“ vor allem weichen, feuchten Boden, in dem sie nach Insekten und Larven stochern. In einer Blänke, einem flachen Gewässer mitten im Gebiet (davon haben die Vogelschützer vor 20 Jahren gleich sechs anlegen lassen), sieht man in der schlammigen Uferzone die Spuren der Vögel, die es sich hier haben schmecken lassen. Augustin zeigt auf eine hellblaue Libelle mit dickem Hinterleib: „Die habe ich hier noch nie gesehen“. Eine späterer Recherche zeigt: Es ist eine Plattbauchlibelle, eine Art, die stehende Flachgewässer liebt. Es zeigt sich: Der Lebensraum wird auch von Neusiedlern aufgenommen. „Dahinten auch“, sagt Augustin und setzt das Fernglas an: „Da brütet eine Kanadagans am Ufer der Blänke.“ Und dazu quakt ein Wasserfrosch.

Damit der Grundwasserspiegel so hoch steht, dass der Wiesenboden weich bleibt und die Blänken nicht trockenfallen, werden die Entwässerungsgräben im Gebiet mit kleinen regelbaren Stauwehren zur Wasserhaltung genutzt. Diese muss fein abgestimmt werden, damit die Balance zwischen Vogelschutz und Bewirtschaftung gelingt. So ist eine Weide so feucht, dass der pachtende Landwirt gegenwärtig seine Rinder nicht auf die Wiese lässt. Eine der Folgen: Die Binse breitet sich aus und verdrängt die gewünschte Vielfalt. Eine andere Wiese ist so trocken, dass das Gras Anfang Juni noch kurz ist und kahle Stellen zeigt. „Immer wieder werden unsere Stauwehre von Unbefugten geöffnet und die Wasserhaltung durcheinandergebracht“, berichtet Augustin. Er hofft auf neue Kleinwehre – am liebsten mit Schlössern.

Mancher Wunsch von Augustin, der mit anderen dieses Gebiet seit Jahrzehnten betreut, kann bald in Erfüllung gehen. Die Leher Wiesen sollen bis Ende 2017 aus dem Besitz des Bundes als Nationales Naturerbe in den Besitz des Landes Niedersachsen übergehen. Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz mit seiner im Zuge des Masterplan Ems eingerichteten Naturschutzstation Ems hat gemeinsam mit dem Landkreis Emsland für die Zeit nach dem Übergang ein Konzept entwickelt, das die Situation für Wiesenvögel weiter verbessern soll. Durch die Übernahme der Flächen durch das Land und die nun angestrebte gemeinsame Bewirtschaftung mit weiteren bestehenden Ausgleichsflächen in diesem Gebiet wird eine Optimierung der Wasserführung ermöglicht. Dies ist wird zur weiteren Verbesserung des Gebietes und den dauerhaften Erhalt der dortigen Wiesenvögel führen, hofft Augustin und andere Vogelschützer.

Durch diese und weitere ökologische Verbesserungen können 30,8 Hektar der 129 Hektar umfassenden Fläche auf die Zielvorgabe von 78 Hektar angerechnet werden, die laut Masterplan-Vertrag bis 2025 für den Wiesenvogelschutz erworben werden müssen. Dem haben die Umweltverbände nach Prüfung des Konzepts zugestimmt. „Durch das vorliegende Bewirtschaftungskonzept und die nach der Übernahme durch das Land verbesserten Möglichkeiten zur Wasserregulierung in dem Gebiet, hoffen wir, dass eine positive Entwicklung des Wiesenvogelbestandes in den Leher Wiesen erreicht werden kann“, begrüßt Elke Meier vom NABU Niedersachsen die geplante Übernahme der Bundesflächen durch das Land.

Sicher ist, dass sich dafür etwas tun muss. Karl-Heinz Augustin blickt bei der Rundfahrt durch das Gebiet mit Sorge auf sporadisch aufwachsende Bäume und Büsche. „Die Vögel wissen nicht, ob sich darin Fressfeinde verbergen und halten mit ihrem Gelege mindestens 100 Meter Abstand“, berichtet er. Das schränkt die Brutfläche ein. Das Konzept sieht vor, dass Bäume und Büsche im Gebiet entfernt werden, möglicherweise auch am Küstenkanal, um dieses Problem zu entschärfen. Doch das löst nicht alle Bedrohungen in Luft auf: Untersuchungen haben ergeben, dass die meisten Gelege oder Küken Fuchs und Marderarten zum Opfer fallen. Durch das gezielte Anlegen von Strukturen, die das Eindringen dieser Jäger erschweren soll die Bedrohung reduziert werden. Dennoch wird es notwendig sein, in den Leher Wiesen künftig nach einem abgestimmten Konzept die Fressfeinde der Wiesenvögel zu bejagen, um den Bestand der Wiesenvögel zu sichern.

Im Norden der Flächen passieren wir mit Augustin Pferdeweiden. Deren Haltung im Gebiet soll künftig möglichst eingeschränkt werden. Dafür gebe es zwei Gründe, berichtet der engagierte Naturschützer: „Die Pferde locken nicht genügend Insekten als Nahrung für die Vögel an, das funktioniert bei Kühen besser.“ Und: Während sich Kühe von einem erregten Kiebitz, der sein Gelege schützen will, von den Nestern fernhalten ließen, gelinge das bei Pferden nicht: „Die sind zu schnell – und schon ist das Gelege hin.“

Rinder hingegen bleiben willkommen. Denn: Eine Beweidung von Teilflächen ist vorteilhaft, weil Rinder und ihr Dung Lebensgrundlage genau jener Insekten sind, die Wiesenvögel zum Überleben benötigen. Deswegen ist es wichtig mit künftigen landwirtschaftlichen Nutzern die zukünftige Bewirtschaftung so zu regeln, dass der Lebensraum für Wiesenvögel optimiert werden kann. Eine der Auflagen ist die späte Mahd, die nicht vor dem Ende der Brutzeit erfolgen darf, um Gelege und Küken nicht zu gefährden. Auf jeden Fall müssen die Wiesen kurzrasig in den Winter gehen, damit die Wiesenvögel im nächsten Frühjahr erneut gute Bedingungen vorfinden.