Masterplan Ems 2050: Bund und Land gehen Schlickproblem der Ems gemeinsam an
Modell einer "Flexiblen Tidesteuerung" mit dem Sperrwerk entwickelt - Wirksam und technisch machbar

Die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) und der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft-, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) haben mit der Unterstützung renommierter Fachgutachter die grundsätzliche Machbarkeit eines der Kernpunkte des Masterplans Ems 2050 nachgewiesen: Mit einer Beeinflussung der Tide mit den Toren des Emssperrwerks kann der Verschlickung der Ems der Kampf angesagt werden. Nun muss aus der grundsätzlichen Machbarkeit eine genehmigungsfähige  Detailplanung erarbeitet werden. Der Lenkungskreis des Masterplans Ems 2050 machte in seinem Beschluss deutlich, dass er einen ersten Einsatz der Tidesteuerung 2020 erwartet.

Der Hintergrund: Die Ausbaumaßnahmen am Flusslauf der Ems haben dazu geführt, dass die von der Nordsee durch den Mündungstrichter in die Unterems einlaufende Flutwelle sehr schnell bis zum Wehr in Herbrum läuft, dabei viel Sediment mitreißt und in den Fluss einträgt – und dann darauf eine relativ langer Wasserstillstand und ein gemächlicher Ebbstrom folgen. So beträgt die mittlere Dauer des Flutstroms in der Ems bei Papenburg etwa 3.45 Stunden, die Ebbstromdauer hingegen 8.40 Stunden. Während des Stillstands kann sich Sediment absetzen, der langsame und damit schwächere Ebbstrom kann die Mengen nicht austragen. Zusammen mit verlorenen Schlickablagerungsflächen der Nordsee – eine der größten darunter ist das Ijsselmeer, die früher zur Nordsee offene Zuiderzee – führt das zu einer laufenden Sedimentansammlung in der Unterems.

Im Verlauf der Studien haben sich Bund und Land, die anfangs unterschiedliche Modelle verfolgt hatten – die Sohlschwelle des Bundes sollte das Niedrigwasser anheben, der  NLWKN wollte den Flutstrom bremsen – auf ein gemeinsames Modell geeinigt. „Wir haben von zwei unabhängigen Seiten ein gleichlautendes Ergebnis: Dass die Beeinflussung des Flutstroms die größten Effekte bringt. Deswegen sind wir sicher, dass wir mit der Flutstromsteuerung etwas erreichen können“, sagt Markus Jänen, Leiter Bau und Unterhaltung beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Emden, der die Erkenntnisse der Studien als „bahnbrechend“ bezeichnete. „Wir haben beide Varianten so zusammengeführt, dass wir das Beste von allen Möglichkeiten nutzen können“, ergänzt Dirk Post, Leiter der Betriebsstelle Aurich des NLWKN und damit auch verantwortlich für das Emssperrwerk. Auch er spricht von einem „Durchbruch“.

Während der Bund die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der Bundeswasserstraße Ems zu garantieren hat, ist das Land Niedersachsen Betreiber des Emssperrwerks und zugleich für Küsten-, Gewässer- und Naturschutz zuständig. Beiden kommt damit eine Schlüsselfunktion in der Umsetzung des Masterplan-Hauptziels zu: Die ökologische Sanierung der Ems bei Beibehaltung ihrer Funktion als Bundeswasserstraße und Lebensader der regionalen Wirtschaft. Der Masterplan wurde von der EU-Kommission als letzte Chance akzeptiert, ein Verfahren wegen der Verletzung von Natur- und Umweltschutzschutzvorschriften an der Ems abzuwenden. Beide Partner sind zudem in ihren jeweiligen Funktionen durch die hohe Sedimentbelastung betroffen. Für die WSV wird das Halten von Soll- und Bedarfstiefe im Fluss immer aufwendiger und teurer (rund 25 Millionen Euro Baggerkosten pro Jahr in der Unterems), zudem stößt die Unterbringung von Baggergut an Land an Grenzen. Das Land ist zuständig für die Erreichung eines guten Gewässerzustandes und für die Einhaltung der Naturschutzauflagen – und der ökologische Zustand der Ems ist schlecht, weil Schlick und Sauerstoffmangel den Lebensraum Ems gefährden. Die EU nimmt dies nicht länger hin.

Die Ergebnisse der Machbarkeitsstudien lassen für die Lösung des Schlickproblems hoffen: Die Modellberechnungen der Bundesanstalt für Wasserbau sagen voraus, dass die Räumwirkung der flexiblen Sohlschwelle auf den Schlick in der Ems bis zur Knock reicht. Ein zweites Gutachten der Forschungsstelle Küste (FSK) des NLWKN stützt die Ergebnisse der BAW. Wenn die Planungen erfolgreich abgeschlossen sind, wird  nach derzeitigem Wissensstand der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) zum ersten Mal ein Sturmflutbauwerk planmäßig und dauerhaft zur Beeinflussung der Tide in einem Flusslauf eingesetzt. Das Sperrwerk muss für diese Aufgabe nicht baulich verändert werden, allerdings muss die Sohle des Flusses ober- und unterhalb des Bauwerks durch eine Sohlsicherung aus Steinen verstärkt werden, um Erosion zu verhindern. Das ist eine der entscheidenden Voraussetzungen für die Machbarkeit der Tidesteuerung.

Mit einer Teilöffnung aller Tore während der ersten Stunden der Flut wird den Studien zufolge großer Einfluss auf den Sedimenttransport erzielt – und diese Variante kommt mit einer vergleichsweise geringen Sohlsicherung aus, weil sich die Strömung über die gesamte Flussbreite verteilt und weniger reißend ist. Den Ergebnissen der Strömungsberechnungen zufolge müssen vor dem Betrieb rund 500 Meter oberhalb und 200 Meter unterhalb des Sperrwerks mit Steinen gesichert werden. Über die Verteilung der voraussichtlichen Kosten von rund 30-40 Millionen Euro auf Land und Bund wird eine Verwaltungsvereinbarung ausgehandelt. Das Flut- und Ebbevolumen bleibt gleich, was den bestehenden Flussquerschnitt stützt, die Höhe von Hoch- und Niedrigwasser wird kaum verändert, was die Biotope nahezu unangetastet lässt. Der naturschutzrechtlich zu bewertende Eingriff am Flussgrund durch die Sohlsicherung (rund 32 Hektar) müsste durch Kompensations- und Kohärenzmaßnahmen in gleicher Größenordnung ausgeglichen werden. Eine weitere Variante der Torsteuerung ist die zeitweise Komplettschließung des Sperrwerks um Tideniedrigwasser, mit der der Niedrigwasserstand angehoben wird, um den Ebbstrom zu stärken und die Flut erst später in den Fluss einströmen zu lassen. Dabei wird die Strömungsgeschwindigkeit nicht nennenswert verändert. Für diese Variante wäre keine Sohlsicherung erforderlich.

Lösungen müssen im Verlauf der Planfeststellungsverfahren für die Schifffahrt gefunden werden. Für einige der durchschnittlich zwei  See- und 20 Binnenschiffe pro Tag könnte es zu Wartezeiten kommen. Im Zulassungsverfahren sollen Einschränkungen durch die Flexibilität des Modells minimiert werden. So sei es denkbar, die Sperrzeiten in der Tagtide zu verkürzen, die Tidesteuerung bei hohem Verkehrsaufkommen auszusetzen oder wenn möglich, sie nur in den Nachtstunden zu jeder zweiten Tide einzusetzen. Zudem sei zu erwarten, dass die Schlicksituation in den Wintermonaten – wenn es viel Oberwasser gibt – so sei, dass die Tidesteuerung nicht nötig sei.

Der Landesbeauftragte Franz-Josef Sickelmann betont, dass die ökologischen Interessen, die Interessen der Überführungssicherheit sowie die Belange der Schifffahrt und der hafenaffinen Betriebe gleich wichtig seien. Insoweit müsse in den nächsten Planungsschritten ein abgewogener Ausgleich gefunden werden, durch den sowohl die Schifffahrt wie auch die hafenaffinen Betriebe so wenig wie möglich beeinträchtigt werden.

Die jetzt getroffene Entscheidung führt zwei der drei Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässergüte zusammen, für die die Vertragspartner im März 2015 Machbarkeitsstudien in Auftrag gaben: Eine Sohlschwelle am und die Tidesteuerung mit dem Emssperrwerk. Um möglichst rasch zu den erhofften Ergebnissen zu kommen, einigten sich die Vertragspartner des Masterplans Ems 2050 darauf, die Planfeststellungsverfahren für die flexible Tidesteuerung einzuleiten, bevor die für Ende 2018 erwartete Machbarkeitsstudie für die Tidespeicherbecken am Emslauf – die dritte Verbesserungsmaßnahme - vorliegt. Sollten sich die Tidespeicherbecken als machbar und wirksam erweisen, sind sie mit der flexiblen Tidesteuerung kombinierbar.  Zudem sei die zu erwartende Minimierung des Schlicks in der Ems positiv für die geplante Anlage von Lebensräumen in Tidepoldern am Emslauf. Sie würden nicht so schnell wieder zuschlicken wie unter den gegenwärtigen Bedingungen.