Neues Leben am Fluss

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Ein Biotop aus Menschenhand

Seit Mai 2022 laufen die Erdarbeiten für den ersten Tidepolder des Masterplans Ems in Coldemüntje (Gemeinde Westoverledingen/Landkreis Leer). Fertig werden soll der tidebeeinflusste Lebensraum im Jahr 2024 (aktueller Stand der Bauarbeiten rechts). „Der Polder steht exemplarisch für das, was die Vertragspartner im Masterplan Ems 2050 als eines von mehreren Zielen vereinbart haben: Die Wiederherstellung von Lebensräumen, wie sie einst die Flussauen der Ems prägten“, sagte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies beim symbolischen ersten Spatenstich Ende Mai.  Insgesamt sollen bis 2050 auf 500 Hektar solche tidenbeeinflussten Lebensräume entstehen. U.a. mit dieser Selbstverpflichtung wurde 2015 ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen Verletzung von Umweltrichtlinien an der Ems verhindert. Mit Tidepoldern machen die Planer vielen Arten, die vom Lebensraumverlust an der Ems betroffen sind, ein Angebot, sich hier wieder anzusiedeln und zu vermehren.  Die Besonderheit dieser Biotope ist, dass sie von Ebbe und Flut beeinflusst werden, also zeitweise trockenfallen und dann wieder überflutet werden. Dort entwickeln sich Flachwasserzonen, Brack- und Süßwasserröhrichte, Sand- und Schlickwatten sowie Tideauwald.

Ein solches Biotop wird jetzt im Bereich des ehemaligen Emsbogens bei Coldemüntje in der Gemeinde Westoverledingen verwirklicht. Bei dem Gebiet, das hinter dem Emsdeich liegt, handelt es sich um die Überreste einer ehemaligen Emsschleife, die bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgeschnitten wurde. Der damals entstandene Grotegaster Altarm verlandete, wurde mit Baggergut aus der Fahrwasserunterhaltung aufgefüllt und zu einem späteren Zeitpunkt durch den Bau der neuen Hauptdeichlinie vollständig von der Ems getrennt. 

Der Landkreis Leer als zuständige Genehmigungsbehörde hatte den Bau des Tidepolders Coldemüntje genehmigt. Der entsprechende Planfeststellungsbeschluss trägt das Datum 13. August 2021. Von besonderem Interesse war während der gesamten Planungsphase der Verbleib des Aushubs aus der Polderbaustelle. Der Genehmigung entsprechend wird das Vorhaben wie folgt ablaufen:

Von den 340.000 Kubikmetern Aushub:

- bleiben rund 171.000 Kubikmeter im Plangebiet selbst. Daraus werden ein erhöht verlaufender Rundweg mit drei Aussichtspunkten entstehen. Der Polder wird hierüber für Naturliebhaber erschlossen. Es wird ein Parkplatz für Autos und Fahrräder eingerichtet.

- werden rund 80.000 Kubikmeter für die Erhöhung der Deichberme an der Ems zwischen Tidepolder und Völlen verwendet. Das ist eine Strecke von rund sechs Kilometern. Die Baumaßnahme wird zeitgleich mit dem Bau des Polders erfolgen.

- werden rund 89.000 Kubikmeter auf landwirtschaftlichen Flächen direkt am Polder aufgetragen, die anschließend wieder von den Landwirten als Grünland genutzt werden. Rund 38 Hektar Fläche werden so um durchschnittlich 25 Zentimeter aufgehöht. Vorläufige Einverständniserklärungen der Flächeneigentümer liegen vor. Konkrete Verträge werden aktuell abgestimmt und geschlossen.

Mit diesem Konzept wird der Transport von Aushub auf den Straßen durch die Deichdörfer auf ein absolutes Mindestmaß reduziert. Das war die Hauptvoraussetzung, um die Zustimmung der Gemeinde Westoverledingen erhalten zu können.

Bei dem Gebiet, das hinter dem Emsdeich liegt, handelt es sich um die Überreste einer ehemaligen Emsschleife, die bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgeschnitten wurde. Der damals entstandene Grotegaster Altarm verlandete, wurde mit Baggergut aus der Fahrwasserunterhaltung aufgefüllt und zu einem späteren Zeitpunkt durch den Bau der neuen Hauptdeichlinie vollständig von der Ems getrennt. 

Stand der Dinge

Winterpause auf der Baustelle beendet

Die Winterpause auf der Baustelle des Tidepolders Coldemüntje ist beendet. Seit der ersten Maiwoche 2023 werden die Erdarbeiten zur Herstellung des Polderprofils fortgesetzt, die im Vorjahr begonnen haben. Gleichzeitig sind die Vorbereitungen für den Bau des Durchlassbauwerks gestartet, mit dem der Polder nach Fertigstellung an das Tidegeschehen der Ems angeschlossen wird. Zu diesem Zweck werden zwei rund 35 Meter lange, vier Meter breite und 1,6 Meter hohe Betonkanäle durch den Deich verlegt, die rund 9 Meter unterhalb der Deichkrone verlaufen werden.  Dafür wird zunächst der Deich geöffnet. „Die Deichsicherheit ist jederzeit gewährleistet“, erläutert Dr. Claus Hinz, Projektleiter vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). Die Maßnahme sei eng mit Küstenschutz und Deichverband abgestimmt.

Das Durchlassbauwerk wird vom Oldenburger Bauunternehmen Ludwig Freytag realisiert. Die Wasserbaufachleute der Unternehmensgruppe werden in der Folge Spundwände zur Sicherung der Baustelle und zur Herstellung der Deichsicherheit einbringen. Die Baustelle wird auf dem binnendeichs gelegenen Deichverteidigungsweg eingerichtet, der für die Dauer der Bauzeit für den Verkehr gesperrt wird. Eine Umleitung für den dort verlaufenden Emsradweg ist ausgeschildert.

Der Durchlass dient nicht nur dazu, im Polder einen Wechsel zwischen Hoch- und Niedrigwasser zu erzielen. Auch Wasserlebewesen können ihn durchwandern und so den Polder besiedeln. Hier finden sie u.a.  Flachwasserzonen, Wattflächen und Röhrichte, wie sie einst an der Ems prägend für den Uferbereich waren. Die Wiederherstellung solcher Lebensräume dient dem Erhalt der Artenvielfalt, die an der Ems aus vielen Gründen bedroht ist, vor allem, weil für einen Tidefluss prägende Lebensräume durch menschlichen Einfluss verschwunden sind. Dazu gehören auch Stillgewässer und Tümpel, Auwälder und Auengebüsche sowie Staudenfluren. Tierarten, die von der Wiederherstellung profitieren, sind beispielsweise Rohrsänger, Schwirle, Blaukehlchen, Rohrweihe und weitere Arten als Brutvögel, Gänse und Enten als Gastvögel, sowie Dreistachliger Stichling Flunder und Aal, ggf. auch Finte bei weiterer Verbesserung in der Ems. Untersuchungen der Naturschutzstation Ems haben zudem erwiesen, dass Röhrichte und Auwälder eine ungeahnte Vielfalt von Nachtfaltern und Laufkäfern beheimaten.

Das Bauwerk wird neben dem Durchlass aus zwei regelbaren Ein- und Auslassbauwerken bestehen, mit denen auf der Ems-  und der Polderseite der Zu- und Abfluss reguliert werden kann. Damit soll dem Eintrag von Schlick in den Polder entgegengewirkt werden: Es wird nur oberflächennahes Wasser aus der Ems eingelassen, das im Vergleich geringer mit Schwebstoffen belastet ist. Dieses Wasser landet nach dem Unterqueren des Deichs in einem Sedimentationsbecken, wo sich der restliche im Wasser vorhandene Schlick vor dem Einfließen in das Prielsystem des Polders absetzt.

Die Fertigstellung des Durchlassbauwerks wird für 2024 erwartet. Dann sollen auch die Erdarbeiten im Polder beendet sein und der Polder in den Testbetrieb gehen.